Wir leben in Zeiten die vom Umbruch geprägt sind. Zeiten in denen sich die Ordnungen wie wir sie kennen verschieben, auflösen und neu formieren. Wir als Menschen sind Auslöser für diesen Umbruch und versuchen nun auf diesen unruhigen Gewässern dieser Zeiten zu navigieren. Doch die Wellentäler sind tief und gefährlich. Es braucht daher viel Expertise und Geschick um nicht unter zugehen. Doch nicht nur die Menschheit sitzt in diesem Boot, sondern auch, von der kleinsten Mikrobe bis hin zum größten Wal, die gesamte Natur unseres Planeten Erde.
In diese Situation haben wir uns selbst, die Menschheit, manövriert, da, wie es Bruno Latour in seinem Buch »Das terrestrische Manifest« schreibt: „eine bestimmte Auffassung von »Natur« (…) den Modernen erlaubt, die Erde auf eine Weise in Beschlag zu nehmen, die es den anderen verunmöglichte, ihr eigenes Territorium alternativ zu besetzen“ (S.77 Z.13-16).
Aber wie kam es dazu?
Wenn man den Prozess des Lebens, wie Newton oder Leibniz, als Fermentationsprozess betrachtet wird klar warum. Um ein Zitat aus Carolyn Merchants Buch »der tod der natur – ökologie, frauen und neuzeitliche naturwissenschaft« anzubringen: „Aber Fermentation war nicht nur eine wesentliche Ursache von gewaltsamen Bewegungen, die aus chemischen Reaktionen entstanden, sie war auch die Ursache für die Lebensbewegungen von Tieren und Pflanzen. Sie war verantwortlich für »das Schlagen des Herzens durch Atmung« und »perpetuierliche Bewegung und Wärme«. Ohne das aktive Prinzip der Fermentation würde »alles – Fäulnis, Fortpflanzung, Wachstum und Leben – aufhören«.“ (S.309, Z.17 – 23).
Dieser Prozess ist von vielen Faktoren abhängig, wie die der Fermentation welche wir uns zu nutze machen. Erhöht man z.B. beim Joghurt machen die Temperatur zu sehr, stoppt sie oder wird gar beendet. Da wir als Menschen Teil dieses Prozesses sind, ist es zwingend notwendig zu verstehen in wie fern wir diesen Prozess beeinflussen.
Wir in unserer technokratischen und im Kapitalozän verankerten Gedankenwelt schaffen ein Ökosystem, welches vom Wachstum der Märkte und unserem materiellen Wohlstand geprägt sein wird. Jegliche andere Lebensform muss sich also entweder daran anpassen oder wird aussterben. Da wir jedoch eine sehr sterile Weltvorstellung haben, könnte es sein dass wir das Leben wie wir es kennen auslöschen werden. Um hier noch einmal Carolyn Merchants zu bemühen: „Die lebendige beseelte Natur ist gestorben, während das tote, seelenlose Geld mit Leben erfüllt worden ist. In zunehmenden Maße legt man dem Kapital und dem Markt organische Attribute wie Wachstum, Stärke, Aktivität. Schwangerschaft, Schäche, Verfall und Zusammenbruch bei, wodurch die Wachstum und Fortschritt ermöglichenden, neuen sozialen Verhältnisse in Produktion und Reproduktion verschleiert werden. Natur, Frauen, Schwarze und Lohnarbeiter haben einen neuen »Status« erlangt: Sie wurden zu natürlichen, menschlichen Ressourcen für das moderne Weltsystem“ (S.311 Z. 22 – 31).
Die Natur kennt keine Begriffe wie gut oder schlecht. Auch wenn dies wie eine Dystopie erscheint, ist es jedoch auch ein Teil der Natur. Die Frage ist moralischer und ethischer Natur. Wollen wir verantwortlich sein für das sechste Massensterben unseres Planeten oder wollen wir ein Paradies der Symbiose und des Lebens schaffen.
In der Hinsicht steht die Menschheit an einem Scheidepunkt: Zum einen könnten wir den Weg des maximalen Konsums und Wachstums gehen, in der Hoffnung dass wir auch ohne das uns umgebende Ökosystem und nur mit unserer Technik überleben können. Oder aber wir kooperieren mit diesem Ökosystem, nutzen es, lassen uns benutzen und begreifen uns als Teil dessen. Um es mit den Worten aus Donna J. Haraways Buch »Unruig bleiben – Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän« zu sagen:„Eine Technik wird auftauchen, um ihre schlimmen, aber sehr schlauen Kinder zu retten; oder, was auf dasselbe hinausläuft: Gott wird kommen, um seine ungehorsamen, aber hoffnungsvollen Kinder zu retten. Angesichts solcher rührender Einfältigkeit, was technische Lösungen (oder Technikapokalypsen) betrifft, fällt es manchmal schwer, an technischen Projekten und ihren Leuten festzuhalten. Diese Projekte sind nicht feindlich. Sie können Wichtiges dazu beitragen, unruhig zu bleiben und produktive, eigensinnige Verwandtschaft (oddkin) einzugehen.“ ( S.12 Z. 3 – 11). Oder auch mit den Worten von Stefan Rahmensdorf und Hans Joachim Schellenhuber aus »Der Klimawandel« : „[…] es braucht vor allem aber ein Narrativ, eine gute Geschichte der Transformation, in der Menschen gerne vorkommen wollen.“ (S. 127 Z. 24 – 26).
Wie kann dieses Narrativ aussehen?
Je mehr wir über unseren Planeten, die Ökosysteme und die Lebewesen darin lernen, desto mehr lernen wir auch wie abhängig wir davon sind. Wie sehr alles um uns herum miteinander Verbunden ist und dies nicht nur spirituelles New Age-Gerede ist sondern wissenschaftlich belegbarer Fakt. Als Darwin in seinem Werk »On the origin of species« einen Meilenstein in der Evolutionsbiologie legte, wurde aus seinem „ … each slight variation if useful, is preserved…“ wurde durch den Neo-Darwinismus „ The survial of the fittest“. Einem kompetitiven System, geprägt von dem patriarchischen Denken dieser Zeit. Erst einige Zeit später sollte Lynn Margulis in den 1970er Jahren, mit der Endosymbiontentheorie, eine kooperative Narrative geben. Also Symbiose als treibende Kraft der Evolution. Um sie aus ihrem Buch »Der symbiotische Planet oder wie die Evolution wirklich verlief« zu zitieren: „Mir ist die Vorstellung, dass die Erde ein Geflecht von »Ökosystemen« ist, lieber als jede Personifizierung einer Mutter Gaia. Mein Kollege Daniel Botkin würde ein Ökosystem wahrscheinlich als eine Gruppe von Lebensgemeinschaften verschiedener biologischer Arten definieren, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort leben und sich eines Zustroms an Energie und Materie von außen erfreuen. […] ein Ökosystem sei ein Ausschnitt der Erdoberfläche, in dessen Innerem Energie und Materie durch Tätigkeit der Lebewesen einen schnelleren Kreislauf durchlaufen als zwischen diesen Systemen und anderen. Der Materie- und Energiebedarf der Lebewesen in einem Ökosystem wird durch Recycling der vielen chemischen Verbindungen gedeckt, die zur Aufrechterhaltung des Lebens notwendig sind.“ (S. 140 – 141 Z. 23 ff.).
Dieses Konzept kann auch auf unsere Gesellschaft angewendet werden, um eine postkapitalozäne und somit eine posthumane Gesellschaft zu gründen, die jenseits unseres Egos und in Symbiose unseres planetaren Ökosystems existiert.
In diesem Kontext will ich aus Rosi Braidottis Buch »Posthumanismus – Leben jenseits des Menschen« zitieren: „Sie wollen kollektive Bindungen schaffen, eine neue affektive Form der Gemeinschaft oder des Gemeinwesens. Der Grundgedanke posthumaner nomadischer Ethik ist die Transzendenz des Negativen. Das Bedeutet konkret, dass die Bedingungen neuer politisch-ethischer Handlungsfähigkeit nicht aus dem unmittelbaren Kontext ableitbar sind oder aus den aktuellen Gegebenheiten. Sie müssen affirmativ und kreativ geschaffen werden , durch zukunftsorientierte Anstrengungen der Mobilisierung ungenutzter Möglichkeiten und Visionen, die alltäglichen Formen des Zusammenwirkens mit anderen verwirklicht werden.“ (S. 194 Z.6 ff.).