Bruno Latour, Das terrestrische Manifest
- Wie kann man ernsthaft Menschen als Materialisten bezeichnen, die imstande sind, aus Fahrlässigkeit in einen Planteten zu schlittern, der sich um 3,5 Grad erwärmt, oder die ihre Mitmenschen bezichtigen, Agenten des sechsten Massenaussterbens von Arten zu sein, und ohne dass dies bemerkt wird? (S. 76, Z. 27ff.).
- Wir müssen materialistisch und rational sein, diese Qualitäten aber auf das richtige Terrain anwenden. (S. 78, Z. 32ff.).
- Auf beiden in gleicher Weise materialistisch und rational zu sein ist unmöglich. (S. 79, Z. 2ff.).
- Wie konnte man ein Ideal der Zivilisation als „rationalistisch“ bezeichnen, das sich eines so gewaltigen Prognosefehlers schuldig gemacht hat, dass es Eltern nun verwehrt ist, ihren Kindern eine lebbare Welt zu übergeben? (S. 79, Z. 20ff.).
- Der Planet hat sich letztlich vom terrestrischen entfernt, weil alles so verlief, als ob die vom Universum aus betrachtete Natur begonnen hätte, langsam an die Stelle der von der Erde aus erschauten Natur zu treten, sie zu überlagern und zu vertreiben; […]. (S. 83, Z. 19ff.).
Merlin Sheldrake, Verwobenes Leben. Wie Pilze unsere Welt formen und unsere Zukunft beeinflussen
- Alles Leben an Land, auch mein eigenes, ist auf solche Netzwerke angewiesen. (S. 10, Z. 24f.).
- […] – über 90 Prozent aller Pilzarten sind noch nicht dokumentiert. Je mehr wir über sie erfahren, desto weniger verbleibt, was ohne sie Sinn ergibt. (S. 13, Z. 13ff.).
- Pflanzen konnten vor rund 500 Millionen Jahren nur deshalb den Übergang vom Wasser zum Land vollziehen, weil sie mit Pilzen zusammenwirkten, die ihnen für Dutzende von Jahrmillionen als Wurzelsysteme dienten, bevor die Evolution sie mit eigenen Wurzeln ausstattete. (S. 14, Z. 7ff.).
- Diese uralte Verbindung brachte alle sichtbaren Landlebewesen hervor, und ihre Zukunft hängt davon ab, dass Pflanzen und Pilze weiterhin eine gesunde Beziehung eingehen können. (S. 14, Z. 16ff.).
- Stoffwechsel ist die Kunst der chemischen Umsetzung. Pilze sind Stoffwechselzauberer: […]. (S. 15, Z. 25f.).
- Pilze produzieren jedes Jahr ungefähr 50 Millionen Tonnen Sporen – das entspricht dem Gewicht von 500.000 Blauwalen. Damit sind sie die größte Quelle für lebende Teilchen in der Luft. (S. 17, Z. 2ff.).
- Ob in Wurzeln oder Schößlingen – seit es sie gibt, sind Pflanzen für Nahrung und Abwehr auf Pilze angewiesen. Auch Tiere sind von Pilzen abhängig. (S. 19, Z. 12ff.).
- Durch nicht nachhaltige landwirtschaftliche Methoden sind die Pflanzen weniger in der Lage, Beziehungen zu den nützlichen Pilzen einzugehen, auf die sie angewiesen sind. (S. 19, Z. 22ff.).
- Die Cavendish, eine Bananensorte, die 99 Prozent aller weltweit exportierten Bananen ausmacht, wird durch eine Pilzkrankheit dezimiert und in den kommenden Jahrzehnten möglicherweise ausgerottet. (S. 20, Z. 2ff.).
- Das Penicillin wurde zum ersten modernen Antibiotikum und hat seither unzählige Menschenleben gerettet. (S. 21, Z. 5f.).
- Das ist nichts Ungewöhnliches: Zwar wurden Pilze lange mit Pflanzen in einen Topf geworfen, in Wirklichkeit sind sie aber enger mit Tieren verwandt – […]. (S. 21, Z. 13ff.).
- Wenn wir Arzneimittel anwenden, die von Pilzen produziert werden, übernehmen wir häufig eine Lösung, auf die Pilze gestoßen sind, und nutzen sie für unsere eigene Körper. (S.21, Z. 20ff.).
- Nach den besten Schätzungen gibt es auf der Welt zwischen 2,2 und 3,8 Millionen Pilzarten, das Sechs- bis Zehnfache der geschätzten Zahl der Pflanzenarten; demnach sind erst sechs Prozent aller Pilzarten beschrieben. (S. 23, Z. 2ff.).
- Wie entstehen solche Beziehungen? Wie kommunizieren Pflanzen und Pilze miteinander? Wie konnte ich mehr über das Leben dieser Organismen lernen? (S. 24, Z. 4ff.).
- Der Wald und seine Bewohner nehmen ihnen jede Illusion, dass sie als Wissenschaftler das Sagen haben. (S. 25, Z. 22f.).
- Einfach gesagt, bilden Pilze das soziale Netzwerk der Pflanzen. (S. 26, Z. 3f.).
- Man stellt sich das Erstaunen eines außerirdischen Anthropologen vor, der die moderne Menschheit jahrzehntelang studiert und irgendwann feststellt, dass wir so etwas wie das Internet haben. In einer ähnlichen Situation sind die heutigen Ökologen. (S. 26, Z. 9ff.).
- Wenn wir durch einen Trick aus unseren Erwartungen gerissen werden, sind wir wieder auf unsere Sinne angewiesen. Erstaunlicher ist nur die große Kluft zwischen dem, womit wir rechnen, und dem, was wir finden, wenn wir tatsächlich hinsehen. (S. 29, Z. 27ff.).
- In Wirklichkeit sind aber viele von Ihnen zu hochentwickelten Verhaltensweisen in der Lage, die uns dazu veranlassen, neu darüber nachzudenken, was es für Lebewesen heißt, wenn sie „Probleme lösen“, „kommunizieren“, „Entscheidungen treffen“, „lernen“ und „sich erinnern“. Wenn wir das tun, weichen manche festgefügten Hierarchien, auf denen unser modernes Denken basiert, ein wenig auf. Und damit ändert sich möglicherweise auch unsere zerstörerische Einstellung gegenüber der Welt, die nicht nur aus Menschen besteht. (S. 31, Z. 27ff.).
- Die Zahl der Mikroben, die wir mit uns herumtragen, ist größer als die unserer „eigenen“ Zellen. In unserem Dasein sind mehr Bakterien zu Hause als Sterne in unserer Galaxis. (S. 32, Z. 18ff.).
- Es ist für uns – zumindest in der modernen Industriegesellschaft – in der Regel selbstverständlich, dass wir anfangen, wo unser Körper beginnt, und da aufhören, wo unser Körper zu Ende ist. Die Entwicklung der modernen Medizin, beispielsweise Organtransplantationen, verwischen solche Abgrenzungen. (S. 32, Z. 24ff.).
- Sie dirigieren die Entwicklung unseres Körpers und Immunsystems, und sie haben Einfluss auf unser Verhalten. (S. 33, Z. 4ff.).
- Symbiose ist ein allgegenwärtiger Aspekt des Lebendigen. (S. 33, Z. 10f.).
- Von Individuen zu sprechen hat keinen Sinn mehr. (S. 33, Z. 29f.).
- Wie ein großer Mann aus dem Fachgebiet der Mikrobiomforschung feststellte, sind „der Verlust eines eigenen Identitätsgefühls, Wahnvorstellungen von eigener Identität und Erlebnisse einer “Fremdbestimmung” potenzielle Anzeichen für eine Geisteskrankheit. Mir schwirrte der Kopf, als ich daran dachte, wie viele Ideen wir neu formulieren mussten, darunter nicht zuletzt unsere kulturell hochgeschätzten Vorstellungen von Identität, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. (S. 34, Z. 25ff.).
- Züchten Pflanzen die Mykorrhiza-Pilze, mit denen sie leben, oder züchten Pilze die Pflanzen? In welche Richtung zeigt der Pfeil? Die Unsicherheit ist gesund. (S. 35, Z. 12ff.).
- Ist es für uns Menschen mit unserem Tiergehirn, unserem Tierkörper und unserer Sprache überhaupt möglich, diese ganz andersartigen Lebewesen zu verstehen? (S. 41, Z. 15ff.).
- Pilze schaffen Welten; und sie bauen Welten ab. (S. 336, Z. 21).
Stefano Mancuso – Alessandra Viola, Die Intelligenz der Pflanzen
- Kehren wir nun zur Erde zurück. Was sagen wir von der Erde? Sie werde vom Menschen beherrscht. Doch stimmt diese für uns so beruhigende Annahme auch? 99,7 Prozent der irdischen Biomasse, also der gesamten Masse aller Lebewesen, entfallen nämlich keineswegs auf den Menschen, sondern auf Pflanzen – schätzungsweise, die Angaben schwanken zwischen 99,5 und 99,9 Prozent, wir haben einfach das Mittel genommen. (S. 119, Z. 10ff.).
- Dann sind Pflanzen wohl die herrschenden Lebewesen, weil sich die Anwesenheit von Tieren ja nur in Spuren nachweisen lässt. Und dafür gibt es nur eine mögliche Erklärung: Pflanzen sind raffinierter, anpassungsfähiger und intelligenter, als wir denken. (S. 120, Z. 12ff.).
- Weil Pflanzen aus redundanten, repetitiven Modulen bestehen, die interagieren und unter bestimmten Bedingungen sogar eigenständig weiterleben, ist kein Teil der Pflanze unbedingt lebensnotwendig. Das ist der prinzipielle Unterschied zum Tier: Pflanzen sind eher eine Kolonie als ein Individuum. (S. 121, Z. 5ff.).
- Auf die Erfolge der künstlichen Intelligenz reagieren wir normalerweise mit der trockenen Feststellung, dass diese für sich genommen noch kein Ausdruck von wahrer Intelligenz seien. Doch wenn es so weitergeht, werden wir eines Tages begreifen müssen, dass Maschinen unsere angeblich so einzigartige Intelligenz perfekt nachbilden oder sogar noch verbessern können. (S. 124, Z. 13ff.).
- Intelligenz gehört untrennbar zum Leben. Selbst der niederste Einzeller muss darüber verfügen, weil auch er in seinem Daseinskampf fortlaufend vor Probleme steht, die er lösen muss – und die den unseren im Übrigen nicht unähnlich sind. (S. 125, Z. 11ff.).
- Wenn wir Intelligenz als Problemlösungsfähigkeit definieren, können wir keine künstliche Trennlinie mehr zwischen intelligenten Wesen und Lebewesen ziehen, die auf Umweltreize rein automatisch reagieren. (S. 125, Z. 22ff.).
- In den Wurzeln, oder, besser gesagt, in den Wurzelspitzen, kann man Vorgänge nachweisen, die typischerweise von Intelligenz zeugen: Wurzeln nehmen Umweltreize wahr, entscheiden sich für die einzuschlagende Bewegungsrichtung und führen die Bewegung schließlich aus. (S. 128, Z. 11ff.).
- In seinen Versuchen, beobachtete er, dass Wurzeln wesentlich an Empfindungsvermögen verlieren, wenn man ihre Spitze entfernt: Sie können keine Schwerkraft mehr wahrnehmen und keine Bodendichte mehr analysieren. (S. 129, Z. 18ff.).
- Das Gehirn ist kein Zauberorgan, es kann allein keine einzigen Gedanken fassen. Es benötigt Informationen, die es nur vom Körper erhält und die unabdingbare Voraussetzung für jede intelligente Reaktion sind. (S. 131, Z. 16ff.).
- Obwohl das Wurzelwerk die Wurzeln miteinander verbindet, ist das physische Netz offenbar nicht das Entscheidende. Die Signale, mit denen die Wurzelspitzen untereinander kommunizieren, werden aller Wahrscheinlichkeit nicht im Pflanzeninneren weitergeleitet. (S. 137, Z. 7ff.).
- Im Schwarm bilden Individuen „emergente“ Verhaltensweisen aus, über die sie als Einzelne nicht verfügen. (S. 139, Z. 30ff.).
- Die Synchronisierung, die völlig unbewusst erfolgt, ist das Ergebnis emergenten Verhaltens. (S. 139, Z. 9ff.).
- Wie sich die Börse verhält, hängt also allein vom Verhalten der einzelnen Anleger ab. Es ist wie bei den Wurzelspitzen eines Wurzelwerks oder Ameisen in ihrem Staat: Allein sind sie nichts, doch gemeinsam entwickeln sie erstaunliche Fähigkeiten. (S. 139, Z. 25ff.).
- Doch wenn es wirklich außerirdische Intelligenz geben sollte, dann hat sie sich vermutlich in völlig anderen Organismen entwickelt als unsere, dann hat sie eine andere chemische Zusammensetzung und bewohnt eine Welt, die mit unserer nichts zu tun hat. (S. 141, Z. 3ff.).
- Wenn sogar so einfache Tiere schlafen, so die Überlegung, dann muss der Schlaf ja wohl grundsätzlich zum Leben gehören. (S. 143, Z. 4f.).
- Die Blätter nehmen nachts bevorzugt die Stellung ein, die sie als Keim innehatten. (S. 146, Z. 16f.).
- Im Schlaf wollen alle am liebsten alle in die Position ihrer ersten Wachstumsphase zurückkehren. (S. 146, Z. 19f.).
Rosi Braidotti, Posthumanismus. Leben jenseits des Menschen
- Prophetisch oder visionäre Geister sind Denker und Denkerinnen der Zukunft. Die Zukunft als aktives Objekt des Begehrens treibt uns voran und lässt uns aktiv werden im Hier und Jetzt einer Gegenwart, die nach Widerstand entgegenwirkenden Alternativen verlangt. (S. 194, Z. 32ff.).
- Die Auswahl der affektiven Kräfte, die den Prozess des Posthumanwerdens vorantreiben, wird bestimmt von einer Ethik der Freude und Affirmation, die der Umwandlung negativer in positive Leidenschaft gehorcht. (S. 196, Z. 36ff.).
- Ich hege keine Nostalgie für „den Menschen“, dieses angebliche Maß aller Dinge, für die von ihm ersonnenen Wissensformen und Selbstbilder. (S. 197, Z. 30ff.).
- Ich betrachte die posthumane Wende als eine großartige Möglichkeit, miteinander zu entscheiden, was und wer wir imstande sind zu werden, als eine für die Menschheit einzigartige Gelegenheit, sich affirmativ neu zu erfinden – durch Kreativität und stärkende ethische Beziehungen, nicht negativ durch Vulnerabilität und Angst. (S. 197, Z. 34ff.).
- Wir müssen lernen, über uns selbst anders zu denken und mit neuen Denkmustern in Bezug auf das zu experimentieren, was als neue, allgemeine Bezugseinheit für das Menschliche gilt. (S.198, Z. 36ff.).
- Können wir mir den Formen unseres posthumanen Selbst Schritt halten, oder werden wir im Verhältnis zu unserer erlebten Umwelt in einem theoretischen und gedanklichen Jetlag verbleiben? (S. 199, Z. 38ff.).
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