Unser unersättlicher Appetit auf Ressourcen beschleunigt nicht nur die Klimakrise oder das Artensterben sondern führt auch zu ignoranten, zerstörerischen Abbau- und Wirtschaftspraktiken. Soziale Ungleichheiten werden immer größer. Rassismus und Sexismus bestehen fort, verbreitet und ausgenutzt durch eine wachsende Politik des Ressentiments.
Wir brauchen heute mehr denn je die sprudelnde, transformative Kraft der Fermentation!
Verwoben durch natürliche Abhängigkeiten, finden wir uns in einem komplexen System mit artenübergreifenden Beziehungen. In einer Zeit, in der unser Verwandtschaftsbegriff von Beziehungsverflechtung statt Genetik bestimmt wird, scheinen wir unfähig, die Komplexität unserer Welt zu verstehen und mit einer artenübergreifenden Verantwortung umzugehen. Herkömmlicherweise wird die Welt/ die Realität in Einheiten unterteilt, die sich gegenseitig beeinflussen. Menschen, Tiere, Pflanzen, Pilze und Mikroben werden als unterschiedliche Einheiten betrachtet, in denen Menschen ‘Subjekte’ und materielle Dinge ‘Objekte’ sind. Im Gegensatz dazu argumentieren Wissenschaftler:innen wie Donna Haraway und Karen Barad, dass die Welt/ die Realität als Verflechtungen von Beziehungen verstanden werden sollte, die sich momentabhängig bilden, sich gegenseitig konstituieren und gemeinsam sedimentieren. Das Fermentieren ist ein fruchtbares Beispiel zur Veranschaulichung dieser erkenntnistheoretischen Position der Co-Creation. Fermentation ist eine artenübergreifende Praxis, die den Menschen aus dem Zentrum der Aktivität verdrängt.
– Fermentation ist Referenz, um über Transformationsprozesse nachzudenken und sie umzusetzen. Sie ist politisch, jedoch keiner kategorialen Politik untergeordnet. Allein deshalb, weil sie auf so vielfältige Weise praktiziert wird: Maßstäbe wie DIY, industriell, handwerklich, global, lokal, multinational, ökologisch, kommerziell, für Gesundheit, Geschmack, Profit, Nahrung, von Menschen, Pflanzen, Mikroben, wild, geimpft, roh, gekocht, mehr oder weniger kontrolliert. Diese vielfältigen Praktiken sind in unterschiedlichste Zeitrahmen eingebettet, von unterschiedlichsten Räumen geprägt und unterschiedlichsten Regulationssystemen unterworfen. Dies alles entzieht sich jeder Typologie, Klassifizierung oder Dichotomie.
WIR TRANSFERMENTIEREN
Als Architekt*innen haben wir die Aufgabe, nicht die Zukunft als gebaute Form zu gestalten, sondern Transformations-Strategien für die Zukunft einer Erde, die für alle Lebewesen bewohnbar ist, zu entwerfen. Wir möchten zusammen mit euch die Vergangenheit analysieren, die Gegenwart transformieren und eine sprudelnde Zukunft entwerfen.
Präzise Transformationen bedingen neue Perspektiven und das Auffinden von Alternativen zum Status Quo. Für uns bedeutet das, sowohl mit physischen Strukturen und Räumen als auch mit städtischen Netzwerken oder sozialen Strukturen wie Gesetzgebung, neuen Technologien oder Medien zu arbeiten. Der Rahmen spannt sich somit konkret von Transformationen der gebauten Form über den spekulativen Entwurf bis hin zur kultureller Produktion von architektonischen Ereignissen und Erzählungen. Wir möchten mit euch anthropogene Kontexte zu terrestrischen Modellen eines Zusammenlebens von allen Lebewesen transformieren.
Die Fermentation oder auch mikrobielle Transformation ist sowohl materielle Praxis als auch spekulative Metapher. Durch symbiotische Kulturen von artenübergreifenden Praktiken, Co-Kreationsprozessen und intersektionalen Fragestellungen führt Fermentation zu sprudelnden Veränderungen mit der Gleichzeitigkeit von Bewahrung und Transformation, Zukunft und Verfall.